Wilde Kleinflüsse im Sauerland

geschrieben von Moritz

Wilde Kleinflüsse im Sauerland

Bei Dauerregen, Temperaturen um die vier Grad und Hochwasser satt lernten zwei Paddler vom PCK die wilde Seite der Sauerländer Kleinflüsse kennen. Unser PCK-ler Moritz Meyer berichtet über eine unterschätzte Paddelregion.

Wir hätten auf den Nachwuchs hören sollen. Aber nein, wir Älteren mussten ja große Sprüche klopfen. Es ist Tag Eins unseres Paddeltrips ins Sauerland. Ich versinke bis zu den Knöcheln im Matsch, als ich mich zum gefühlt 37. Mal an diesem Tag aus dem Boot quäle, um ein weiteres Baumhindernis zu umtragen. Und diesmal ist es nicht bloß ein Baum, es sieht aus, als wäre ein ganzes Stück Wald in die Möhne gerutscht. Also klinke ich mein Boot in die Bergungsleine und ziehe es hinter mir über einen überfluteten Acker. Auf der anderen Seite des Forsthindernisses rutsche ich zuerst in meinen Diesel und dann zurück in den Bach. Seit Stunden regnet es, die Temperaturen liegen um die vier Grad und meine Finger sind so steif vor Kälte, dass ich Mühe habe, die Spritzdecke zu schließen. Jetzt ärgere ich mich über meine große Klappe am Morgen, als ich, genauso wie die meisten meiner Mitpaddler, unbedingt für die lange Tour stimmen musste.

Tour I: Auf Glenne und Möhne

Fünfeinhalb Stunden vorher hatten wir unsere Gruppe im Bootshaus des KC Wickede gestanden, dessen Einladung zu “Wilden Kleinflüssen im Sauerland” wir gefolgt waren. Vor uns liegt eine kombinierte Befahrung von Glenne und Möhne. Die Optionen der als “für Paddler, die es sich richtig geben wollen” beschriebenen Tour hatten unsere Fahrtenleiter Steffi und Frodo mit der ganzen Nüchternheit der erfahrenen Sauerländer Paddler ausgebreitet: “Wir fahren fünf Kilometer auf der Glenne. Von da geht es in die Möhne und dann können wir entweder nach sechs oder nach 13 Kilometern aussteigen. Uns ist das egal, das müsst ihr entscheiden.” “Sechs!”, tönte es sofort aus der hinteren Ecke gegenüber der Fenster. Die zwei Jungs aus Duisburg waren die einzigen noch nicht erwachsenen Paddler unserer Gruppe und hatten noch den untrüglichen Riecher für eine unmittelbar bevorstehende, unnötige Schinderei, den nur Teenager haben. Der Rest von uns dachte sich mit ebenso untrüglichen Selbstüberschätzung der Erwachsenen: 13 plus 5? Macht mindestens 18 Kilometer fürs Fahrtenbuch! Let’s do it!

Nun, einen Sommerurlaub hatten Rainer und ich ohnehin nicht erwartet, als wir uns für den Trip ins Sauerland entschieden. Steile, schmale Rinnen, die mehr oder weniger ohne Kehrwasser zwischen Büschen und Sträuchern und unter umgestürzten Bäumen und Stacheldrahthindernissen durchrauschen und eigentümlich gleich klingende Namen wie Wenne, Glenne, Lenne oder Hönne tragen; das sind die Flüsse dieses vor allem Eingeweihten bekannten Paddelreviers mitten in NRW. Üblicherweise entfaltet dieses wilde Kleinod sein ganzes Potenzial nur im Winter nach starken Niederschlägen. Und auch wenn Glenne und Möhne echtes Wildwasser nur abschnittsweise auf einigen sportlichen Schwällen zu bieten haben, sollte man die Tücken der kleinen, giftigen Bäche nicht unterschätzen.

Mitten in einem dicht überwucherten Schwall bekomme ich einen Zweig von einem überhängenden Busch ins Auge und verliere dabei prompt meine Kontaktlinse. Umgestürzte Bäume lauern hinter fast jeder Kurve. Gelenkigen Paddlern gelingt es zwar, sich unter dem ein oder anderen hindurchzuwinden. Doch Vorsicht: Einmal nicht aufgepasst und schon hat man verkantet und ist gezwungen, unfreiwillig unter dem Hindernis durchzurollen. Dann doch besser aussteigen und umtragen. So wird die Tour auf der Glenne zu einer Stop&Go-Fahrt, die ständig unterbrochen werden muss. Richtig warm wird uns bei den vielen Unterbrechungen nicht. Außerdem zieht sich die Tour langsam aber sicher.

Als wir endlich am Ziel in Allagen ankommen, bricht bereits die Dunkelheit herein. Mehr als vier Stunden waren wir unterwegs, das GPS zeigt statt der erwarteten 18 Kilometer stolze 21 an. Kein Wunder, dass alle Paddler reichlich erschöpft aus ihren Booten krabbeln. Wind, Kälte und Regen haben allen zugesetzt. Doch “rain is liquid sunshine”, wie der Paddler zu sagen pflegt: Der nicht nachlassende Wassernachschub von oben verspricht einen grandiosen Tag Zwei.

Tour II: Obere Ruhr

Der soll uns auf die obere Ruhr führen. Obwohl ich meine ersten Paddelschläge im Ruhrgebiet gemacht habe, kenne ich nur den gemächlichen Unterlauf meines “Hausbachs”. Doch die Ruhr kann auch anders: Als echten “Wuchthammer” kündigt einer unserer Mitpaddler die zweite Tour des Wochenendes fröhlich an, als wir uns bei immer noch strömenden Regen am Einstieg in Olsberg hoch bereit machen. Der Pegel der Ruhr hat inzwischen die 130 Zentimeter überschritten; und wird in den nächsten zwei Stunden, während wir auf dem Wasser sind, noch auf 146 Zentimeter anschwellen. Und der Wuchthammer enttäuscht nicht. Auf den ersten drei Kilometern stehen einige kräftige Wellen und Walzen im Bach, der ein oder andere umgestürzte Baum sorgt zusätzlich für leichte Verblockung, kurz: Es ist ein wilder, wuchtiger Ritt, der einfach nur Spaß macht. Nach dem turbulenten Auftakt weitet sich das Flußbett zusehends, und die Ruhr wandelt sich immer mehr vom rauschenden Mittelgebirgsbach zum schnell fließenden Wald- und Wiesenfluss.

Nun stellen eine Reihe von Wehren die größten Schwierigkeiten dar. Während einige gut und mit Spaß fahrbar sind, sollten sich an wenigstens zwei nur Paddler mit einer ordentlichen Portion Wild- und Wuchtwassererfahrung ranwagen. Kurz vor dem Ausstieg laden dann ein paar Schwälle noch einmal zum Wellenritt ein. Leider viel zu schnell rauschen wir dem Zielort Meschede entgegen. Fazit: Das Sauerland kann sowohl klein und giftig als auch laut und heftig. Hier warten definitiv noch ein paar wilde Kleinode darauf, von uns entdeckt zu werden.

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